Interdisziplinärer Forschungs- und Umsetzungsverbund für die Förderung der Bildung von persönlicher und systemischer Demokratiekompetenz in der digitalisierten transkulturellen Gesellschaft.

Projektlaufzeit

01.05.2022-31.03.2026

Hintergrund und Notwendigkeit des Vorhabens

Aktuell stehen die Menschen vor enormen Herausforderungen auch im Kontext der Corona-Pandemie und des Krieges zwischen Russland und der Ukraine. Dabei scheinen sich Teile der Bevölkerung zunehmend in voneinander abgegrenzte ökonomische, kulturelle, soziale, religiöse und politische Milieus zu differenzieren. Gesellschaftliche Diskurse werden zum Teil in voneinander beinahe hermetisch abgegrenzten digitalen Formaten geführt. Damit einher gehen hohe Entfremdungs-, Segregations-, Aggressions- und Gewaltpotentiale, die ein friedliches und demokratisches Zusammenleben bedrohen. WissenschaftlerInnen diagnostizieren zudem einen Verlust von Vertrauen in demokratische Institutionen und Entscheidungsprozesse. Analog zu den Entwicklungen in Politik und Wirtschaft, in der Filmbranche, in den Theatern und Kirchen ist aktuell auch im Hochschul- und Schulkontext eine steigende Unzufriedenheit über nicht mehr zeitgemäße autoritäre, un- bzw. antidemokratische Macht- und Entscheidungsstrukturen wahrzunehmen. Viele Hochschullehrende und Studierende wünschen sich eine wertschätzendere, gesündere, diversere, inklusivere, partizipativere, demokratischere, gemeinwohlorientierte und nachhaltige Ausrichtung und Gestaltung ihrer Arbeit. Das Projekt „Demokratiefähigkeit bilden“ nimmt diese Bedürfnisse ernst, bündelt die vorhandenen Erfahrungen, stärkt die wissenschaftliche Basis und erarbeitet praxistaugliche, evidenzbasierte Bildungs- und Entwicklungsangebote dafür. 

Demokratie als hohes und historisch mühsam errungenes Gut kann nur erhalten bleiben und weiter kultiviert werden, wenn ein großer Anteil der jungen Menschen das will, weil sie den persönlichen und sozialen Wert demokratischen Handelns in der eigenen Sozialisation sowohl kognitiv erfahren als auch affektiv erlebt haben. Die Bildung von Demokratiefähigkeit und der entsprechenden moralischen und kognitiven Kompetenzen stellt damit ein Querschnittsthema im Bildungssystem dar, das es zu stärken gilt.

In Hochschulen und Schulen kommen täglich Vertreterinnen und Vertreter aller gesellschaftlichen Gruppen zusammen. Hier werden daher gesamtgesellschaftliche Diskurse in besonderer Weise verdichtet. Für die Partizipation an komplexen demokratischen Aushandlungsprozessen benötigen aufwachsende Menschen und natürlich auch die Lehr- und Fachkräfte umfassende Fähigkeiten und Kompetenzen. So beschreibt z.B. der Europarat (2018) vier Kompetenzbereiche (Werte, Einstellungen, Fähigkeiten sowie Wissen und kritisches Denken). Diese Bereiche umfassen sowohl kognitive Kompetenzen als auch eine Reihe affektiver Fähigkeiten. Das Projekt wird dazu beitragen, in der Aus- und Weiterbildung von PädagogInnen beide Persönlichkeitsbereiche, Kopf und Herz, in ihrem Zusammenwirken zu stärken und letztlich auch ein demokratisches Handeln zu erleichtern.

Der Zugriff auf und die Kultivierung von basalen demokratiefördernden Fähigkeiten für die Gestaltung wertschätzender Lehr- und Lernprozesse wird erst möglich, wenn die Akteurinnen und Akteure sich hinreichend sicher miteinander fühlen können. Denn die evolutionär relativ jungen sozialen Fähigkeiten wie gegenseitige Einfühlung, Empathie, Interesse aneinander, Verständnis und Akzeptanz, die probeweise gegenseitige Perspektivübernahme und daraus entstehende Abstimmungs-, Synchronisations- und Gestaltungsprozesse können sich nur entfalten, wenn das Miteinander nicht als bedrohlich, sondern als sicher und bereichernd erlebt wird. Die Identität vor allem vieler junger Menschen prägen aber aktuell neben Gewalterfahrungen häufig auch Erfahrungen von Abwertung und Ausgrenzung aufgrund ökonomischer, kultureller, gender- und sprachbezogener Zugehörigkeiten bzw. Zuschreibungen. Dabei sind Schulen und Hochschulen einerseits Settings solch leidvoller Erfahrungen als auch Orte, wo Wertschätzung, stärkende Beziehungen, Potenzialförderung und die demokratische Gestaltung des Miteinanders erlebt und kultiviert werden. Entscheidend dafür, ob junge Menschen ihre Erfahrungen in den Schulen und Hochschulen als verletzend oder als stärkend erleben, sind nicht nur und nicht in erster Linie die Lehrpläne und Lerninhalte. Es sind v.a. die Persönlichkeiten der Lehrenden, die im Alltag erlebten Beziehungen und die ausgrenzenden- oder wertschätzenden Gemeinschaftserfahrungen, die den Unterschied für die Entwicklung der Identität ausmachen.

Das Projekt geht davon aus, dass sich die Fähigkeiten zur empathischen, gewaltfreien und engagierten Mitgestaltung einer demokratischen Gesellschaft insbesondere durch entsprechende persönlichkeitsbildende Beziehungserfahrungen und Angebote in der Aus- und Weiterbildung von Pädagoginnen und Pädagogen kultivieren lassen. Dafür wird das Thema explizit bildungswissenschaftlich bearbeitet. Auf dieser Basis werden dann didaktischmethodische Formate entwickelt, prototypisiert, implementiert, evaluiert, publiziert und skaliert, die Aspekte der prosozialen, demokratiefördernden Persönlichkeitsentwicklung und Kommunikationsfähigkeit, der Wissensvermittlung und der gemeinsamen Organisationsgestaltung im Sinne einer mündigkeitsfördernden, achtsamen, gewaltfreien, partizipativdemokratischen und potenzialentfaltenden, transkulturell-wertschätzenden Lehr-Lern-Kultur integrieren.

Rahmenbedingungen des Projekts

In der seit Mai 2021 in NRW geltenden Neufassung vom Kerncurriculum für die Lehrerausbildung im Vorbereitungsdienst (RdErl. d. Ministeriums für Schule und Bildung v. 25.03.2021 – 423-6.05.01- 160169) wird die in den Schulen “gegebene Vielfalt als Potenzial für bildenden und erziehenden Unterricht“ beschrieben, der bewusst genutzt werden soll. Außerdem werden dort folgende weitere Ziele für die Bildung von Demokratiekompetenzen genannt:

• die Stärkung von Selbstverantwortung,

• die Selbstreflexion der eigenen Bildungserfahrungen,

• Partizipation und Mitbestimmung im Bildungsprozess, der personenorientiert und ausgerichtet an der individuell erlebten Wirklichkeit der Beteiligten gestaltet werden soll.

Als didaktischer Rahmen für eine weltweite demokratiefördernde Bildung verbindet auch der OECD-Lernkompass 2030 die Schulung individueller Kenntnisse, Werte, Haltungen und Skills mit der Stärkung sozial und organisational wirkender Regulations-, Verantwortungs-, Gestaltungs- und Transformationskompetenzen. Das Projekt “Demokratiefähigkeit bilden” versteht sich als eingebunden und im Dienste dieser landes-, europa- und weltweiten Entwicklungen und Bestrebungen und ist insofern stark anschlussfähig an die institutionellen Aktivitäten und Kerninhalte der Landeszentrale für politische Bildung.

Ziele

Das Projekt „Demokratiefähigkeit bilden“ wird maßgeblich dazu beitragen, dass diese Kompetenzen als Querschnittsthemen bereits in der ersten Phase der pädagogischen Ausbildung sowie in Fortbildungsformaten in NRW vermittelt werden können. Eine zentrale Forschungsfrage des interdisziplinären, transkulturellen Forschungsprojekts wird sich mit der kultursensitiven Integration eines Verständnisses für die basale Bedeutung der emotionalen, beziehungsorientierten, wertebasierten, selbstreflektierten und Engagement fördernden Persönlichkeitsbildung in die Bildungswissenschaft beschäftigen. Hier gilt es, an aktuelle bildungspraktische Diskurse z.B. zu Gewaltprävention, Gesundheitsförderung, Diversität, Integration, Partizipation, Geschlechtergerechtigkeit, sozial-emotionalem Lernen, Bildung für Nachhaltigkeit und bürgerschaftliches Engagement anzuknüpfen.

Projektverbund und AkteurInnen

Das Projekt integriert diese Lehr- und Forschungsschwerpunkte folgender AkteurInnen:

• transkulturelle Integrations- und Demokratieforschung, Gewaltprävention (ZfTI: Dr. Köksal Caliskan, Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan, Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Uni Duisburg-Essen)

• Gewaltfreie Kommunikation (Fötev-Nds: Yelda Balkuv, Föderation Türkischer Elternvereine in Niedersachsen)

• Persönlichkeitsbildung insb. Stressregulation, Mitgefühl, BNE sowie partizipative Organisations- und Kulturentwicklung in Hochschulen und Schulen (KEM: Dr. Nils Altner, Kliniken Essen-Mitte/Universität Duisburg-Essen)

• Traumasensitive verkörperungsorientierte Achtsamkeit und pro-soziale Persönlichkeitsentwicklung im Kontext differenzfreundlicher, machtkritischer und partizipativer Bildung (KEM: Ann-Kristin Krings, Kliniken Essen-Mitte/Universität Duisburg-Essen)

• Herzensbildung, transreligiöse Bildung und Schulseelsorge (Sabine Lindemeyer, Päd.-Theol. Institut (PTI) der Ev. Kirche im Rheinland & Prof. Keuchen PTI/Uni Paderborn)

• Burnout-Prävention, Stressbewältigung, Persönlichkeitsentwicklung, und Förderung des demokratischen Denkens und Handelns in der Sportlehramtsaus-/ weiterbildung (Deutsche Sporthochschule Köln: Ulrike Hartmann, Psychologisches Institut, Abteilung Gesundheit- und Sozialpsychologie)

Demokratiefördernde Kooperation und Umsetzung

Im Zuge der Projektplanung und -ausgestaltung werden die Erfahrungen, Bedürfnisse und Wünsche von Zielgruppen- und Netzwerkvertreterinnen und -vertretern erhoben, strukturiert und berücksichtigt. Zudem werden Anknüpfungspunkte in den aktuellen deutschen und internationalen bildungswissenschaftlichen Diskursen identifiziert. Ziel ist die Stärkung eines Bildungsverständnisses, das die im realen Alltag von Menschen in Nordrhein-Westfalens Städten und Gemeinden gelebte Demokratiefähigkeit und die Ausübung von Demokratie auch vor Ort in den Bildungseinrichtungen als Bildungsziele anerkennt und zeitnah für viele Menschen erreichbar werden lässt.

Das interdisziplinär und transkulturell besetzte Projektteam nimmt die Herausforderung an, zwischen einem von der Lebenswelt und der täglichen Lebenspraxis der konkreten Menschen entfernten akademischen kognitiv-theoretischen Bildungs- und Wissenschaftsverständnis auf der einen Seite und einer unreflektiert individualistischen Subjektperspektive auf der anderen Seite gangbare Wege der Bildung von Demokratiefähigkeit zu finden. Dabei gehen wir wissenschaftlich fundiert vor und streben die Akzeptanz der Scientific Community an. Für die Bildungspraktikerinnen und -praktiker in Hochschulen, Schulen und ggs. auch in Berufsschulen soll das Bildungsangebot ansprechend, verständlich, sinnvoll und umsetzbar sein. Es geht um die Erarbeitung eines wissenschaftlich fundierten und umsetzungstauglichen (Weiter) Bildungsangebotes zur Förderung der Demokratiefähigkeiten von pädagogischen 5 Hochschullehrenden, Studierenden und SchulpädagogInnen mit und für Kopf, Herz und Hand im Spannungsfeld zwischen Diversität, Normativität, Mündigkeit und demokratischem Gemeinwohl.

„Demokratiefähigkeit bilden“                    wird gefördert durch: