Ausgangslage und Bedarf
Als Föderation Türkischer Elternvereine in Niedersachsen e.V. beschäftigt uns seit vielen Jahren die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben möchten.
Aktuell stehen die Menschen in Deutschland und auch in Niedersachsen im Kontext und Nachklang der Corona- Pandemie vor großen Herausforderungen. Dabei scheinen sich Teile der Bevölkerung zunehmend in voneinander abgegrenzte ökonomische, kulturelle, soziale, religiöse und politische Milieus zu verlagern und es zeichnet sich gesellschaftlich mehr und mehr Isolation, Stress, Verlust von Sicherheit durch schnelle Veränderungen sowie auch eine starke Spannungsverdichtung ab, insbesondere auch am Lernort Schule, der sehr heterogen geprägt ist.

Damit einher gehen hohe Entfremdungs-, Segregations-, Aggressions- und Gewaltpotentiale, die ein friedliches von Vertrauen geprägtes Zusammenleben erschweren.
Vor dem Hintergrund der beschriebenen Situation, sehen wir gesellschaftlich immer mehr die Notwendigkeit, unseren Fokus auf die Förderung einer psycho-emotionalen Gesundheit sowie einer friedlichen, sozialen Interaktion zu richten.

In den vergangenen Jahren haben die Anforderungen an Menschen in pädagogischen, sozialen und therapeutischen Berufen stetig zugenommen und sich jetzt in der Pandemiezeit potenziert. Lockdown, zunehmende Virtualisierung, Entfremdung von der Natur, steigender Finanzdruck, mehr Kinder mit schwierigem Sozialverhalten sowie die Herausforderungen der Inklusion sind nur einige der steigenden Anforderungen. Häufig bleiben dabei die eigene Gesundheit, Freude, Kreativität und das lebendige Miteinander mit den Kindern und den Kolleg*innen auf der Strecke. Die Situation in der wir uns momentan befinden ist herausfordernd, für jeden auf eine andere Art und Weise.

Ziele & Zielgruppe und Teilnehmendenkreis
Diese Achtsamkeits- und Empathie-basierte Online Weiterbildung richtet sich an Lehrende, die Achtsamkeit und Empathie/Mitgefühl bewusst als (selbst)fürsorgliche und gesundheitsfördernde Qualitäten in ihrem Leben und in ihrer Arbeit kultivieren möchten, sowohl für sich, gemeinsam mit ihren Kolleg*innen und natürlich auch im Miteinander mit den Kindern. Diese Zielgruppe kontaktieren wir aus unserem bestehenden Netzwerk heraus bzw. mittels unseres Netzwerks.

Ein primäres Ziel des Projekts ist es hier daher, erwachsene pädagogische Begleiter*innen zu qualifizieren, damit diese die psychosozialen Herausforderungen von Kindern und Jugendlichen wahrnehmen und kompetent aufnehmen können.

In diesem Sinne befähigt die Weiterbildung ganz praktisch, niederschwellige altersgerechte und kultursensitive Achtsamkeits- und Empathie-basierte Interventionen in den beruflichen Alltag zu integrieren, so dass Kinder und Jugendliche in ihrer psychischen Gesundheit gefördert werden können; insbesondere in ihrer Resilienz, emotionalen Stabilität und Selbstwirksamkeit.
Die Basis für das authentische Vermitteln von Achtsamkeit und Mitgefühl bildet die eigene Verkörperung dieser Qualitäten/Haltung im Alltag auch in Form einer formellen Achtsamkeitspraxis. Hier liegt ein Schwerpunkt der Weiterbildung. So dass auch das sozial-emotionale Lernen sowie Beziehungen und Bindungen von Kindern und Jugendlichen untereinander in natürlicher und authentischer Art und Weise unterstützt werden können.


Inhalt & Umsetzung
Die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) stärkt und fördert Selbstvertrauen und Selbstverantwortung und  -fürsorge, Konfliktfähigkeit, gegenseitige Wertschätzung und Win-win-Lösungen. Sie wurde bereits 2002 von der UN als „best practice“ für gewaltfreie Konfliktlösung in Schulen gelistet.

Dieser Idee ist Fötev-Nds gefolgt und hat in den vergangenen 4 Jahren im Rahmen von Projekten primär mit der Haltung und Methode der Gewaltfreien Kommunikation, Erfahrungsräume geschaffen, um Schritt für Schritt Haltungen der Authentizität, Empathie/Mitgefühl und Gleichwürdigkeit zu kultivieren.

Seit 2021 werden auch Anteile aus der Achtsamkeitstradition am Lernort Schule integriert und mit dem Ansatz der Gewaltfreien Kommunikation verwoben.

Das Erlernen einer erfolgreichen, sozialen Interaktion ist für alle Altersgruppen ein Entwicklungsprozess, der begleitet und geübt werden muss. Erfahrungen aus anderen interdisziplinären Forschungsarbeiten (vgl. Ressource Project, Dr. Tania Singer) zeigen, dass Veränderungen in der Haltung, Kontinuität und Zeit zur Entfaltung benötigen.
Kinder durchlaufen zudem verschiedene Entwicklungsstufen, um Fähigkeiten zu erlernen, mitzufühlen, ihre eigenen Gefühle sowie die von anderen verstehen und empathisch begegnen zu lernen.

Das letzte Projekt der Fötev-Nds e.V.  „Wurzeln und Flügel“, das vorrangig auf der Haltung und Methode der GfK ansetzte, endete zum 31.12.2021. Resultierend aus den Ergebnissen einer fast 4-jährigen wissenschaftlichen Begleitung zur Wirkung der Haltung und Methode der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) nach Marshall Rosenberg, unseren eigenen Erfahrungen/Beobachtungen sowie  zahlreichen Studien zur Wirksamkeit einer Achtsamkeitspraxis, ist unsere These, dass Achtsamkeitspraxis und GfK-Inhalte sich gegenseitig ergänzen lassen und zu einer Vertiefung der Erfahrungen und Wirkungen führen können. So wurde ein neues Projekt entwickelt, welches das klassische 8-Wochen MBSR-Programm durch GfK-Inhalte ergänzt durch eine Betonung der Inhalte:

  • Selbstfürsorge/Fürsorge
  • Förderung von empathischem Umgang mit sich selbst und anderen / Verständigung

Der Kurs im Überblick, 10 Abende à 3 Stunden und 1 Tag (ca. 5 Stunden) in 10 Wochen:
Die teilnehmenden Lehrenden erlernen in diesem 10-wöchigen Online Kurs Übungen aus der Achtsamkeitstradition und Gewaltfreien Kommunikation. Sie entwickeln ihre Achtsamkeitspraxis und ebnen sich einen neuen Weg für ihren Umgang mit Stress und Leid. Dabei finden sie zu einer Balance und gesunden Selbstfürsorge. Die Idee ist hier, GfK Anteile in jede Einheit zu integrieren und zusätzlich in 2 Einheiten fokussiert zu behandeln.

  1. Einführung und erste Übungen
  2. Wahrnehmung: Wie wir die Welt wahrnehmen
  3. Im Körper beheimatet sein
  4. Stress und Achtsamkeit
  5. Wahlmöglichkeiten im Stresserleben
    Tag der Achtsamkeit in Stille
  6. Achtsame/gewaltfreie Kommunikation (Einführung)
  7. Achtsame/gewaltfreie Kommunikation (Vertiefung)
  8. Für sich selbst gut sorgen (Einführung)
  9. Für sich selbst gut sorgen (Vertiefung)
  10. Abschied und Neubeginn

Die Teilnehmenden haben in dem Rahmen des gesamten Angebots die Möglichkeit, das Konzept der Achtsamkeit als Resilienz-förderliche Haltung kennenzulernen. In spezifischen Übungen können sie die Haltung der Achtsamkeit trainieren und sich auf typische berufliche Situationen vorbereiten. Angeleitet werden dabei u.a. Coaching-, Wahrnehmungs- und Körperübungen. In den Wochenaufgaben werden Inhalte und Materialien angeboten, die das selbständige Üben nachhaltig anregen. Die +/- Gruppengröße für das Onlinetraining umfasst 15 Personen.

Lernziele
1. Förderung von psychischer Widerstandsfähigkeit (Resilienz) und Widerstandsressourcen zur Bewältigung von beruflichen Anforderungssituationen in Form eines Onlinetrainings.
2. Erlernen einer achtsamen Haltung für den beruflichen Alltag
3. Reflexionsfähigkeit und eigenes Stressmanagement. Selbstreflexion und Selbsterforschung eigener Stressoren, Ressourcen und gewohnter Denkmuster
4. Lernen, wie Entspannungspausen in den eigenen Berufsalltag eingebaut werden können (Burnout-Prävention, Vorbeugung von Belastungserfahrungen) und bewusstes ausbilden persönlicher Ressourcen im Umgang mit Belastungssituationen.
5. “Train the trainer”: Die Teilnehmenden lernen Stressmanagement-Methoden kennen, die sie während und nach dem Kurs auch an die Schüler*innen weitergeben können.

Haltung / Methode & Wirkung
a. Achtsamkeit/ MBSR nach Jon Kabat-Zinn

Was ist Achtsamkeit?
„Achtsamkeit ist von Augenblick zu Augenblick gegenwärtiges, nicht urteilendes Gewahrsein, kultiviert dadurch, dass wir aufmerksam sind. Achtsamkeit entspringt dem Leben ganz natürlich. Sie kann durch Praxis gefestigt werden. Diese Praxis wird manchmal Meditation genannt.
Doch Meditation ist anders, als Sie denken.“

Die Wirklichkeit zulassen
„Bei der Meditation geht es nicht um den Versuch, irgendwo hinzugelangen. Es geht darum, dass wir uns selbst erlauben, genau dort zu sein, wo wir sind, und genau so zu sein, wie wir sind,
und desgleichen der Welt zu erlauben, genau so zu sein, wie sie in diesem Augenblick ist.“

In Kontakt mit sich selbst
„Das wichtigste Ziel der Achtsamkeitspraxis ist, mit sich selbst in Kontakt zu kommen.“ Jon Kabat-Zinn

Das MBSR Übungsprogramm wurde 1979 von Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn an der Stress Reduction Clinic der Universität von Massachusetts entwickelt. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen die gesundheits-fördernde, stressreduzierende und die Lebensqualität steigende Wirkung des Achtsamkeitsprogramms, durch:

  • die Förderung von körperlicher und psychischer Gesundheit (Resilienz),
  • einen einfühlsamen und selbstwirksamen Umgang mit Stresssituationen,
  • eine erhöhte Fähigkeit zur Entspannung,
  • wachsende Selbstannahme und Akzeptanz
  • und einer damit verbundenen Steigerung von Lebensfreude und Vitalität.

Der MBSR Verband schreibt dazu auf seiner Internetpräsenz https://www.mbsr-verband.de/achtsamkeit/forschung folgendes:

„Die Wirkung der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion ist mittlerweile gut erforscht und Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten und Metastudien. Die Untersuchungen decken ein breites Spektrum an Anwendungen und Zielgruppen ab. Sie reichen von Effekten beim Umgang mit chronischen Schmerzen und Krankheiten, über Wirkungen bei psychischen Leiden bis zum Einfluss auf Kinder in Kindergärten und Schulen und auf Mitarbeiter*innen in Unternehmen beim Umgang mit Stress, Konflikten oder Burnout.“

Die Wirksamkeit von Achtsamkeitsübungen ist u.a. nachgewiesen für die Steigerung der Aufmerksamkeitsregulation, die Vertiefung des Körper-Gewahrseins und damit einhergehend einer Verbesserung des eigenen gesundheitsfördernden Verhaltens.
Zudem ermöglicht die Achtsamkeitspraxis die Wahrnehmung der eigenen Gedanken und Grübeleien und einen besseren Umgang damit. Damit hat sie auch eine präventive Wirkung u.a. für Depressionen. Sie kultiviert eine Veränderung im Umgang mit Gefühlen, besonders mit schwierigen Gefühlen wie Ängsten oder Traurigkeit.

Wir verstehen diese Achtsamkeit- und Empathie-basierte Fortbildung als basalen Ansatz, der sich sowohl zur individuellen Persönlichkeitsentwicklung eignet als auch Lehrende in ihrer Multiplikator*innenfunktion in der Interaktion mit den Kindern/Jugendlichen unterstützen kann.

b. Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg – Haltung und Methode
Die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) wurde in den späten 1960er bis in die 1990er Jahre hinein von dem amerikanischen Psychologen Marshall B. Rosenberg PhD entwickelt. Sie ist gemäß jahrzehntelanger Erfahrung in allen Lebenszusammenhängen hilfreich, in denen Menschen miteinander in Beziehung und Interaktion sind: im Umgang mit sich selbst, in Familie und Partnerschaft, im Bildungs- und Sozialwesen, in Organisationen, in Unternehmen und in der Gesellschaftspolitik.

Grundlage und Ziel der Gewaltfreien Kommunikation ist eine achtsame Haltung und Kommunikation, die von Aufrichtigkeit, Empathie, Selbstverantwortung und wohlwollender Zuwendung geprägt sind. Auf der methodischen Ebene entsteht durch den zielgerichteten Wechsel von Sach- und Beziehungsebene ein dynamischer Kommunikationsprozess, der ein konstruktives Miteinander und die Entwicklung zufriedenstellender Lösungen zwischen den Beteiligten unterstützt.

Die Gewaltfreie Kommunikation setzt hier an, indem sie als Grundlage mit ihrer 4-schrittigen Kommunikation von Beobachtung, Gefühlen, Bedürfnissen und Bitten, eine wertschätzende und einfühlsame Haltung sich selbst und anderen gegenüber schult. Die Form des Austausches der Gewaltfreien Kommunikation beruht auf Authentizität und Respekt gegenüber sich selbst und dem anderen.

Durch Trainings können lebensbereichernde Qualitäten und universelle Werte geschult werden, die ein friedvolles und gleichwürdiges Miteinander fördern. Werte, die unabhängig von Ethnie, Herkunft, Kultur, Religion/Weltanschauung, Tradition, Geschlecht, sozio-ökonomischen Hintergrund und Alter Gültigkeit besitzen und als lebensbereichernd empfunden werden.

Ziel ist es hier auch, zu erlernen, eine bessere Verbindung zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen herzustellen (in Kontakt zu kommen) und diese auch verbal ausdrücken zu können; sowie, soziale Bedürfnisse wie z.B. nach Vertrauen, Interdependenz und Zugehörigkeit zu kultivieren. 

Statt zu fragen: „Wer hat recht? Was ist richtig? Was ist falsch?“ wird erforscht: „Was sind die Gefühle und aktuellen Bedürfnisse der Beteiligten und wie können sie berücksichtigt werden?“. Das Herstellen einer empathischen Verbindung und Erkennen der Bedürfnisse führt zum eigenen und gegenseitigem Verstehen und Verständnis. Unterschiedliche Überzeugungen, Einschätzungen und Strategien können dann wohlwollender betrachtet werden, was der kreativen Entwicklung von lebensdienlichen Lösungen dient.

Diese innere Haltung und methodische Anwendung erleichtert es, sich selbst und anderen offen, empathisch und aufmerksam zuzuhören und sich aufrichtig und wertschätzend mitzuteilen. So können auch in Konfliktsituationen von gegenseitigem Verständnis geprägte Beziehungen aufrechterhalten werden bzw. entstehen.

Förderung
Dieses Online-Weiterbildungsangebot der Föderation Türkischer Elternvereine in Niedersachsen e.V. (FöTEV-Nds) wird durch das Aktionsprogramms “AUF!leben – Zukunft ist jetzt” der Deutsche Kinder- und Jugendstiftung gefördert und ist dadurch für die Teilnehmenden kostenfrei.